Impfungen-Teil-2
Werbung wegen Verlinkung auf externe Seiten (unbeauftragt/unbezahlt) In meinem letzten Beitrag habe ich ein Vorwort zum Thema Impfungen geschrieben (siehe hier). Darin habe ich unter anderem darüber berichtet, dass es mitunter nicht ganz ungefährlich zu sein scheint, öffentlich über dieses Thema zu sprechen bzw. zu schreiben.
Ungeachtet dieser Tatsache sehe ich es als Mutter und Kinderärztin als eine doppelte Herzensangelegenheit an, euch darüber zu informieren. Daher gibt es heute Impfungen-Teil-2. Denn trotz der vielen (leider nicht immer fachlich qualifizierten) Informationen im Netz, herrscht gerade zu diesem Thema noch sehr viel Verunsicherung und dementsprechend ein hoher Informationsbedarf.
Diesem Bedarf möchte ich nachkommen und euch mit Impfungen-Teil-2 so viele Informationen wie möglich darüber zukommen lassen. Denn: nur wer über die Erkrankungen gut informiert ist, kann den Wert einer möglichen Schutzmaßnahme nachvollziehen.
Bevor wir jedoch zu den einzelnen Erkrankungen und Impfungen kommen, möchte ich euch mit diesem Beitrag zunächst den Weg eines Impfstoffes aufzeigen. Ich möchte euch damit einen kleinen Einblick darüber geben, an wie vielen Stellen er von unabhängigen Instanzen kontrolliert wird, bevor er eurem Kind verabreicht werden darf und kann.
Der Weg eines Impfstoffes, Voraussetzungen:
Die grundlegenden Voraussetzungen für die Durchführung einer Impfung, deren Kosten als Pflichtleistung im Sinne des Infektionsschutzes von den gesetzlichen (und je nach gewähltem Tarif auch von den privaten) Krankenkassen übernommen werden, sind:
- 1. Es muss einen Impfstoff geben.
- 2. Der Impfstoff ist von den deutschen Behörden zugelassen worden.
- 3. Die STIKO hat eine Impfempfehlung für diesen Impfstoff ausgesprochen.
- 4. Der betreuende Arzt handelt und behandelt nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Richtlinien der evidenzbasierten Medizin.
- 5. Die Eltern werden vom betreuenden Arzt über die impfpräventablen Erkrankungen und die Impfungen aufgeklärt (Wirkung, mögliche Nebenwirkungen/Risiken).
- 6. Die Eltern sind bereit, ihr Kind impfen zu lassen. Dies ist erfreulicherweise bei über 90% der Eltern der Fall.
Zu Punkt 1:
Um einen Impfstoff erfolgreich herstellen zu können, muss der Erreger gut bekannt und in seinen Eigenschaften möglichst stabil sein. Dies ist tatsächlich (und leider) nur bei einem relativ kleinen Teil der menschlichen Erkrankungen der Fall.
Wie großartig wäre es aus meiner Sicht, wenn es (bereits) einen Impfstoff gegen Krebs oder chronische Erkrankungen gäbe. Doch das nur am Rande, denn darauf werde ich am Ende meiner Beitragsreihe zum Thema Impfungen sicher noch zurück kommen. Von der Forschung und Entwicklung eines Impfstoffes bis hin zur Zulassung und Herstellung vergehen oftmals viele Jahre bzw. Jahrzehnte.
Denn:
Zu Punkt 2, Arzneimittelzulassung:
Bevor ein Impfstoff von den deutschen Gesundheitsbehörden (Paul-Ehrlich-Institut oder die Europäische Arzneimittelagentur) zugelassen wird, muss die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Impfstoffes getestet und nachgewiesen worden sein.
Dabei spielt der Aspekt der „Nutzen-Risiko-Abwägung“ eine zentrale Rolle (siehe weiter unten). Außerdem muss der Impfstoff eine hohe pharmazeutische Qualität haben.
Was das bedeutet und beinhaltet, könnt ihr z.B. hier nachlesen. Erst dann gilt er als ausführlich untersucht, getestet und sicher. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, beginnt die STIKO mit ihrer Arbeit und überprüft den Nutzen des Impfstoffes für den Einzelnen und vor allem auch den Nutzen für die Bevölkerung.
Doch wer oder was ist eigentlich die STIKO?
Zu Punkt 3, STIKO:
Die STIKO ist eine Abkürzung für die „STändige ImpfKOmmission“ und bezeichnet ein Gremium, das aus mehreren unabhängigen und ehrenamtlich tätigen Experten aus den Bereichen Wissenschaft und Forschung besteht.
Dieses Expertengremium wird vom Bundesgesundheitsministerium berufen und setzt sich unter anderem aus Ärzten, Wissenschaftlern sowie Vertretern der Gesundheitsbehörden und Krankenkassen zusammen.
Es entwickelt auf Grundlage der evidenzbasierten Medizin die Impfempfehlungen für Deutschland.
Zu Punkt 4, Evidenzbasiert:
Evidenzbasiert bedeutet, dass die vorliegenden wissenschaftlichen und klinischen Daten aus verschiedenen, groß angelegten Studien, auf ihre Beweiskraft überprüft werden.
Die entsprechenden Empfehlungen können nur dann ausgesprochen und umgesetzt werden, wenn:
- eindeutig nachgewiesen werden konnte, dass der Impfstoff wirksam und
- der Nutzen der jeweiligen Impfung deutlich höher ist, als das damit verbundene Risiko.
Nutzen-Risiko-Abwägung:
Diese sog. Nutzen-Risiko-Abwägung ist im medizinischen Alltag übrigens allgegenwärtig und unumgänglich!
Denn vor jeder geplanten diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme (Röntgen-Bild nach einem Unfall: ja oder nein? Antibiotikum bei einer Infektion: ja oder nein? Chemotherapie bei einer bösartigen Erkrankung: ja oder nein?) muss der Nutzen im Vergleich zum Risiko abgewogen und überdacht werden.
DENN: jeder Eingriff in den menschlichen Körper ist/kann mit potenziellen Risiken verbunden sein. Egal, ob es sich dabei um eine diagnostische Untersuchung, eine vorbeugende Maßnahme oder eine Therapie handelt.
Sie kann und sollte nur dann umgesetzt werden, wenn der Nutzen der Maßnahme für den Patienten (deutlich) höher ist, als das damit verbundene und zu erwartende Risiko.
Notwendigkeit von Studien:
Um diese Abwägung möglichst gut treffen zu können, sind im Vorfeld medizinische Studien erforderlich. Je mehr Studien es von unterschiedlicher Seite gibt, die unabhängig voneinander zum gleichen Ergebnis kommen, umso besser.
Kommt z.B. eine Studie in den USA zum gleichen Ergebnis, wie eine Studie aus England, Deutschland oder den Niederlanden, dann gibt dieses Ergebnis schon eine recht gute Vorstellung über den Nutzen einer möglichen Therapie.
Ebenso wichtig ist bei der Beurteilung jedoch auch, dass es sich dabei um großangelegte Studien handelt.
Das heißt: je mehr Menschen an der Studie teilgenommen haben, umso besser und aussagekräftiger ist das Ergebnis. Wird z.B. eine Studie zur Überprüfung der Wirksamkeit einer Chemotherapie an 12.000 Menschen durchgeführt, hat das Ergebnis dieser Studie natürlich eine ganz andere Aussagekraft, als wenn bei dieser Studie nur 120 Menschen untersucht worden wären. Aus solchen großangelegten Studien ergeben sich für uns Ärzte dann Handlungsempfehlungen oder Leitlinien.
Halten wir uns an diese, handeln wir evidenzbasiert und sichern damit nicht nur den Patienten, sondern auch uns selbst ziemlich gut ab.
(Be)Handeln auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen:
Aus meiner Sicht ist es daher unumgänglich, dass sich Mediziner, ebenso, wie Krankenschwestern, Hebammen, Physiotherapeuten und sämtliche Personen, die im medizinischen Bereich tätig sind, nach den neuesten Erkenntnissen und Empfehlungen der evidenzbasierten Medizin richten.
Alles andere wäre eine eigenmächtige und subjektive (Be-)Handlungsweise, die nicht nur aus medizinisch-ethischer, sondern auch aus juristischer Sicht problematisch wäre bzw. werden kann.
Wird z.B. einem Patienten eine Therapie vorenthalten, weil der Behandler subjektiv das „Gefühl“ hat, das Ergebnis der Studie an 12.000 sei womöglich „Quatsch und tauge nichts“, dann kann das ethisch und juristisch gesehen spätestens dann ein Thema werden, wenn der Patient zu Schaden kommt. Vor Gericht würde auf jeden Fall geprüft werden, auf welcher Grund- und Datenlage dabei gehandelt worden ist. Spätestens an diesem Punkt wird hoffentlich klar, wie wichtig Empfehlungen auf der Grundlage von medizinischen Studien sind.
Neue Erkenntnisse und Daten:
Da die Wissenschaft kontinuierlich voranschreitet und sich permanent erweitert und zu neuen Erkenntnissen gelangt, ist es wichtig, dass sich medizinisches Personal regelmäßig weiterbildet.
Denn das, was vor 10 Jahren richtig war, muß nicht zwangsläufig auch heute noch richtig sein. Und natürlich kommen bei den Forschungen auch Erkenntnisse zutage, die gängige Therapien und Empfehlungen über den Haufen werfen. Aber auch das kann nur dann passieren, wenn großangelegte Studien eindeutig zu anderen Ergebnissen gekommen sind.
Ihr seht also, Medizin und Wissenschaft gehören eng zusammen und müssen kontinuierlich überprüft und angepasst werden.
Doch Studien allein reichen beim Thema Impfungen nicht aus. Für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Impfung sind auch epidemiologische Faktoren relevant: wie häufig ist die Erkrankung im jeweiligen Land?
Wann tritt sie auf? Wen betrifft sie? Welche Personengruppe erfordert besonderen Schutz usw.? Um all diese Aspekte berücksichtigen zu können, ist es wichtig, dass in der STIKO nicht nur Wissenschaftler und Ärzte, sondern auch die o.g. Vertreter von Gesundheitsbehörden und Krankenkassen sitzen.
All diese Menschen tragen auf der Grundlage ihres Wissens und der vorhandenen Datenlage dazu bei, die bestmögliche Entscheidung zu treffen.
Spricht die STIKO nach all diesen Überprüfungsvorgängen eine Impfempfehlung aus, wird diese in die Schutzimpfungs-Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen übernommen. Dadurch sind die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, die Kosten für diese Impfungen zu tragen.
Die ausgesprochenen Empfehlungen werden regelmäßig überprüft, aktualisiert und einmal jährlich als Impfkalender der STIKO im Informationsblatt des Robert-Koch-Instituts (RKI) veröffentlicht. Diese Informationen können kostenfrei auf den Internetseiten des RKI bzw. der STIKO abgerufen werden.
Zu Punkt 5 und 6, Aufklärung und Impfbereitschaft:
Wie bereits im Vorwort über Impfungen erwähnt, ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Prävention eine umfassende Information der Eltern über die einzelnen Erkrankungen und die zur Verfügung stehenden Impfstoffe.
Erfolgt dies in einem vertrauensvollen Gespräch, in welchem noch offene Fragen geklärt und mögliche Sorgen und Ängste der Eltern ernstgenommen werden, ist die Bereitschaft zur Impfung erfreulicherweise bei über 90%. Um einige der Erkrankungen vollständig ausrotten zu können, bedarf es jedoch einer Impfquote von über 95%.
Fazit:
Wie ihr sehen könnt, ist der Weg von der Entwicklung eines Impfstoffes, über die Zulassung, die Überprüfung der STIKO, die Impfempfehlung bis hin zum Arzt-Patienten-Eltern-Gespräch und zur Verabreichung des Impfstoffes durch den Arzt sehr lang und wird auf verschiedenen Ebenen regelmäßig und unabhängig überprüft.
Ich hoffe, dass ich euch mit den Informationen aus diesem Beitrag weiterhelfen und in eurer Entscheidungsfindung unterstützen konnte. Aus meiner Sicht ist das Wissen über diese Hintergründe eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis und die sachliche Beurteilung für die Bedeutung und den Nutzen von Impfungen.
Anmerkung:
Alle medizinischen Beiträge, die ich zu gesundheitlichen Themen auf meinem Blog verfasse, dienen ausschließlich der Information. Sie ersetzen in keiner Weise den Arztbesuch bei gesundheitlichen Beschwerden.
Bleibt gesund und munter und bitte auch weiterhin „gnädig“ mit mir
Eure
Snježi
4 Antworten
Hallo, vielen Dank für diese Reihe. Fragen möchte ich, wie schätzt Du die tatsächliche Unabhängigkeit der Stiko ein? Und warum gelten in anderen europäischen Ländern andere Empfehlungen, z.b. bzgl. Zeitpunkt und Häufigkeit? Das irritiert mich sehr, werden dort dann andere Studien zurate gezogen? Freue mich über eine Rückmeldung. Freundliche Grüße Anja
Liebe Anja,
vielen Dank für Deine Kommentar, der sicher auch für viele andere Eltern wichtig ist.
Ich persönlich schätze die Unabhängigkeit der STIKO als gegeben ein, schließlich handelt es sich dabei nicht um Einzelpersonen, sondern um eine sehr „gemischte“ Gruppe von Fachleuten. Ich bin mir sehr sicher, dass dort keine Entscheidungen getroffen werden, um Impfungen zu empfehlen, die man sich ethisch und finanziell „sparen“ könnte. Der finanzielle Aspekt erklärt sich mE schon anhand der allg. Kostenregulierung von Krankenkassen (deren Vertreter ja auch in der STIKO sind). Diese zahlen zwar das, was notwendig ist, sind grundsätzlich aber auch darauf bedacht, die zu erwartenden Kosten möglichst gering zu halten. Auch das oft angeführte Argument, dass „Pharmafirmen oder Ärzte mit Impfungen ihr Geld verdienen“ würden, sehe ich anders. Sie alle würden ganz klar mehr Geld verdienen können, wenn man durch Impfungen die Erkrankungen nicht verhindern, sondern sie stattdessen behandeln müsste. Ganz abgesehen davon, dass jede Impfung ein „Eingriff in die körperliche Unversehrtheit“ ist und nur dann zu rechtfertigen ist, wenn es erforderlich ist und die Studienlage die Notwendigkeit bestätigt. De zT unterschiedlichen Impfempfehlungen innerhalb der EU sind mE auf epidemiologische Faktoren sowie auf die Gesundheitssysteme der einzelnen Länder zurückzuführen. Bei einigen zB werden dtl weniger Impfungen gezahlt. Bei anderen wiederum sind einige Impfungen sogar Pflich und nicht, wie bei uns eine Empfehlung.
Ich hoffe, ich konnte deine Fragen zumindest zum Teil beantworten. Ansonsten werde ich im Laufe der Impfreihe auch noch auf einige Aspekte zurückkommen.
Liebe Grüße
Snjezi